Stephan, Arnsberg
Seit einem Jahr unterstütze ich Babrak, der in seinem Heimatland Afghanistan bei einem amerikanischen Luftwaffenstützpunkt gearbeitet hat. Deswegen musste er die Rache der Taliban-Milizen fürchten und bereits 2012 fliehen. Da seine vier Kinder noch sehr klein waren, musste er sie und seine Ehefrau in der Obhut seiner Schwiegereltern zurücklassen. Tragischerweise verstarb seine Ehefrau im März 2014 an Brustkrebs. Fortan hat sich eine Schwägerin, die Schwester der Verstorbenen, um die Kinder gekümmert.
Seit vielen Jahren in Arnsberg lebend, hat Babrak mich um Hilfe gebeten. Insbesondere habe ich ihn bei der Antragstellung für die Einbürgerung unterstützt, die mit der Verleihung der deutschen Staatsbürgerschaft im Juli 2021 erfolgreich endete.
Im gleichen Jahr hat Babrak seine Schwägerin per Ferntrauung geheiratet. Unmittelbar vor der Machtübernahme der Taliban waren seine Schwiegereltern hellsichtig genug, die Flucht seiner zurückgelassenen Familie zu organisieren. Ein Bekannter versprach, Ehefrau und Kinder nach Deutschland zu bringen. Statt sein Versprechen einzulösen, brachte der Fluchthelfer sie zu Verwandten der Familie nach Kuala Lumpur, Malaysia und ließ sie dort ohne Reisepässe und Visa im Stich.
Babrak bat mich nun um Unterstützung bei der Familienzusammenführung. Sein Anliegen wurde erschwert, weil seine Angehörigen nur über unzureichende Ausweispapiere verfügten und sich ohne Aufenthaltsgenehmigung in Malaysia aufhielten. Trotz meiner 7-jährigen Erfahrung im ehrenamtlichen Engagement für Menschen mit internationaler Familiengeschichte, war ich zum ersten Mal mit einer solchen Angelegenheit befasst, die nun zum absoluten Schwerpunkt meiner Patenschaft wurde.
Nachdem ich mich über die geltenden Rechtsgrundlagen informiert hatte, nahm ich den Kontakt mit der deutschen Botschaft in Kuala Lumpur auf, um die notwendigen Visa für die Familienzusammenführung zu beantragen. Der Kontakt vor Ort lief über die 15-jährige ältere Tochter, die über ausreichende Englischkenntnisse verfügte. Sie übermittelte regelmäßig E-Mails der Botschaft, die ich übersetzte und den anderen Familienmitgliedern erklärte. Außerdem hat sie mir die deutschen Formulare zugeschickt, die ich zusammen mit dem Vater ausgefüllt und per E-Mail zurückgesendet habe, so dass die Mutter als Sorgeberechtigte diese unterschreiben konnte.
Unsere Hoffnung auf einen schnellen, glücklichen Ausgang erwies sich jedoch als trügerisch. Aufgrund der unzureichenden Personaldokumente und der spezifischen Familienkonstellation meldete die Botschaft Zweifel an, ob Babrak wirklich der Vater aller vier Kinder ist. Die Organisation des Vaterschaftsgutachtens nahm 3 Monate in Anspruch, bis im Juni 2022 die Zweifel der Botschaft durch einen Labortest aus Mainz beseitigt werden konnten. Da die Familienmitglieder nicht über gültige afghanische Dokumente verfügten, mussten sie bei der deutschen Botschaft Reiseausweise für Ausländer beantragen, um aus Malaysia ausreisen zu können. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erteilte seine Zustimmung und nach Bearbeitung und Einreichung weiterer Formulare wähnten wir uns Ende September 2022 endgültig am Ziel. Babrak buchte für seine Familie fünf Flugtickets für den 23.10.2022.
An diesem Tag zerplatzten aber alle unsere Hoffnungen. Die deutsche Botschaft hatte einen Reiseausweis mit den falschen Gültigkeitsdaten ausgestellt! Außerdem hatten wir trotz gewissenhafter Recherche im Vorfeld nicht die Information erhalten, dass am Flughafen eine sogenannte Überbrückungsgenehmigung der malaysischen Behörden vorzulegen war, so dass das Sicherheitspersonal am Flughafen allen Familienmitgliedern den Flugantritt verweigerte. Das war eine so unglaubliche Enttäuschung, und ich wusste in diesem Moment wirklich nicht, wie es nun weiter geht. War alles umsonst? Ich habe versucht, mir diese Gefühle nicht anmerken zulassen, denn für Babrak war diese Situation noch um ein Vielfaches schlimmer.
Wenige Tage später fand dann ein Treffen von „Alt und Jung – Chancenpatenschaften“ statt, und durch den fachlichen Austausch und das Angebot einer anderen Patin, mich zu unterstützen, ging ich mit neuem Mut und Zuversicht an die Lösung der Probleme. Nach weiteren behördlichen Zuarbeiten, Telefonaten und schlaflosen Nächten entschuldigte sich die deutsche Botschaft für ihren Irrtum und stellte neue Reiseausweise aus, die aber lediglich einen Monat gültig waren. Unter großem Zeitdruck gelang es dank guter Vernetzung vor Ort, die notwendigen malaysischen Dokumente beizubringen, so dass am 08.11.2022 die Familie nach fast 10-jähriger Trennung ihre glückliche Wiedervereinigung am Flughafen Frankfurt erleben konnte.